Regel und Freiheit

Maren Klamser

Dieter Rams, geboren 1932, ist ein deutscher Industriedesigner. Mit seinen Arbeiten für die Firma Braun prägte er nicht nur das typische klare Erscheinungsbild der Braun-Produkte, sondern auch zweifellos viele Generationen von Produkten und Produktgestaltern. Viele seiner entworfenen Objekte gelten mittlerweile als Designklassiker. Bereits in den 1970er Jahren begannen Rams und sein Team ihre Erkenntnisse zum Design zu verdichten und in den folgenden Jahren auszubauen und weiterzuentwickeln. Aus ihren Erkenntnissen ergaben sich 1993 Rams’ zehn Thesen für gutes Design. Das erklärte Ziel von seiner Arbeiten waren eine Klarheit der Form, Materialgerechtigkeit und leichte Bedienbarkeit. Ihm gelang es, gutes Design auf ein paar essentielle Basiseigenschaften zu verdichten. Sie widerspiegeln Rams’ zurückhaltende Philosophie gegenüber der Formsprache, denn wie schon Goethe in seinem Gedicht „Natur und Kunst“ schrieb: In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister.

Das Gedicht „Natur und Kunst“ wurde im Jahr 1800 von Johann Wolfgang von Goethe verfasst. Er sah sich damals als Kunstrichter und Erzieher der Gesellschaft und hatte den festen Willen, Deutschland geistig zu erneuern. Das Sonett beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen Natur und Kunst und deren Platz in der Gesellschaft. Oberflächlich interpretiert wird Kunst als etwas gesehen, das mit Disziplin gemeistert werden muss, denn nur wer sich bindet und beschränkt, kann Kunst schaffen. Dabei werden Regeln und Gesetze als Weg zur Freiheit gesehen. Dabei beschreibt er das Erschaffen von Kunst als Kampf gegen das Willkürliche und die Natur, der nur durch leidenschaftliches Bestreben gewonnen werden kann. Goethe gibt in seinem Gedicht ein Regelwerk, das allgemein gültig für die gesamte Gesellschaft ist. Obwohl das Gedicht schon zwei Jahrhunderte alt ist, können trotzdem Parallelen zu heutigen Debatten um Willkür und Regel gezogen werden. Diese Diskussion kann nicht nur auf die literarischen Bereich, sondern jegliche andere künstlerische und freidenkerische Bereiche angewandt werden. Goethe liefert damit ein Rahmenwerk für die moderne Gesellschaft und Zivilisation.

Wie Goethe hat Rams ein Regelwerk errichtet, eben nur für Design. Bezieht man Goethes Regelwerk auf die Thesen des guten Designs von Rams, so kann die „Kunst“ mit Innovation/Funktionalismus und die „Natur“ mit der gestalterischen Willkür verglichen werden. „Nichts darf der Willkür oder dem Zufall überlassen werden. Gründlichkeit und Genauigkeit der Gestaltung sind letztlich Ausdruck des Respekts dem Verbraucher gegenüber. Nach Rams ist „Gutes Design so wenig Design wie möglich“, er bezieht sich im Sinne der Ästhetik auf das natürlich Einfache. Eine ästhetisch überhöhte, ordentliche Welt. Schön, aber irgendwie auch schrecklich deutsch. Und wie es sich für dann gehört - natürlich nach klugen Regeln. »Made in Germany« verspricht: Dieses Produkt ist gebaut nach sinnvollen Regeln. Sinnvolle Regeln in der Konstruktion und sinnvolle Regeln in der Produktion.

Doch was zeichnet gutes Design letztendlich aus? Sind es nun Regeln oder ist es Freiheit? Und was wäre Design heute ohne das Regelwerk von Rams? Ist durch das funktionalistische Entwerfen die herkömmliche Theorie nach Ästhetik und dem Schönen verloren gegangen oder dienen die entworfenen Regeln und Gesetze als Weg zu Freiheit und gutem Design?