Die Zukunft der Arbeit

Florian Burghardt

Wir befinden uns zweifellos inmitten einer Revolution: Mit dem Aufkommen von Künstlicher Intelligenz und Robotisierung handelt es sich tatsächlich um eine radikale Veränderung unserer Arbeitsgesellschaft, nicht nur quantitativ, sondern vor allem auch qualitativ. In Deutschland wird dieser Wandel als "Industrie 4.0“ bezeichnet. Roboter und vernetzte Maschinen sind hier auf dem Vormarsch. Die Digitalisierung und insbesondere das Internet der Dinge verändern dabei nicht nur die industrielle Produktion: Der wachsenden Zahl an Menschen ohne Arbeit steht eine Arbeitswelt entgegen, deren Auswirkungen auf die Berufsbilder und Lebensrealität gerade erst erkannt werden. Smartphone, GPS-Navigation, Künstliche Intelligenz, Roboter und Drohnen, automatisierte Fabriken und Hochfrequenzhandel, Big Data in Biotechnologie, Genetik und Marketing, animierte Kinofilme und Videospiele sind allesamt nur Symptome dieser rasenden Umwälzung, die, wie bereits erwähnt, vor allem die Produktionsformen unserer Kultur verändern. Die Industrie 4.0 ist möglicherweise die größte Herausforderung für die Welt überhaupt, sagt Klaus Schwab, Gründer des Weltwirtschaftsforums in Davos, und warnt vor einer Revolution von oben, die Millionen Menschen zu Verlierern macht, weil sie nicht mehr gebraucht werden. Hinzu kommt eine Studie des Finanzdienstleisters ING DiBa vom 30. April 2015. Hier „kann es in den kommenden Jahren durch die zunehmende Automatisierung zu gravierenden Veränderungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt kommen. Roboter werden zukünftig verstärkt den Menschen als Arbeitskraft ersetzen oder sich zumindest einen Arbeitsplatz mit ihm teilen. 18,3 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland sind innerhalb der nächsten zehn bis 20 Jahren durch die Robotisierung bedroht.“ (1) Längerfristig betrachtet werden Roboter somit immer mehr Aufgaben übernehmen – ob nun im Transport- und Logistikwesen durch den Einsatz von Drohnen oder autonomen LKW’s; bei der medizinischen Versorgung von Patienten in provinziellen Regionen, die mithilfe von Tele-Medizin sichergestellt wird; oder auch durch Koch-, Garten- und Serviceroboter, die unter der Prämisse, uns den Alltag zu erleichtern in ebendiesen Einzug halten werden. In der industriellen Produktion kann man diesen Trend schon eine ganze Weile beobachten. Der Fokus liegt hierbei auf der zunehmenden Digitalisierung früherer Analogtechniken und der Integration cyber-physischer Systeme. Anstatt Ware „auf Lager“ vorzuproduzieren erfolgt die Herstellung vieler Produkte jetzt auf direkte Nachfrage oder nach dem tatsächlichen Bedarf. Da die Fertigung jetzt noch schneller vonstattengehen kann, werden weitere Ressourcen gespart und die Abfall- und Schwundrate dezimiert.
Mitnichten handelt es sich dabei um ein Phänomen, das vollkommen geschichts- oder vorbildlos ist: Schon frühere industrielle Revolutionen haben die Arbeitswelt hunderttausender Menschen verändert. Beispielsweise wurde mit dem Beginn des Maschinenzeitalters am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert Handarbeit großteilig obsolet, obgleich sich durch den Fortschritt auch immer wieder neue Arbeitsplätze ergeben haben. Heute allerdings könnten wir an einem Punkt angelangt sein, an dem der Mensch in der Wertschöpfungskette der Wirtschaft überflüssig geworden ist. Bei einem genaueren Blick in die Vergangenheit lassen sich zur momentanen Entwicklung weitere Parallelen erkennen. Die erste Industrielle Revolution begann um 1766 in Manchester als James Hargreaves, ein Weber aus Lancashire in England, die „Spinning Jenny“, eine pedalbetriebene Maschine zum Verspinnen von 8 Baumwollfäden gleichzeitig, erfand. Dies potenzierte die Arbeitsleistung eines einzelnen Arbeiters zunächst um das Achtfache. Das Gerät war allerdings auch so konstruiert, dass zu einem späteren Zeitpunkt stärkere Antriebskräfte wie Wasser und Dampf genutzt werden konnten, um die Spindeln anzutreiben. Die „Spinning Jenny“ wurde zu Hause eingesetzt und war im gewissen Sinne das „Desktop Manufacturing“ ihrer Zeit. Erstmalig in der Geschichte war Heimarbeit für einen Großteil der Bevölkerung lukrativer als die Arbeit auf dem Feld, wodurch auch die Abhängigkeit von Grundbesitzern teils beendet, die Arbeitsbedingungen für Kinder verbessert und die Kernfamilie gestärkt wurde. Darüber hinaus bekamen auch nicht-privilegierte Menschen, denen der Weg des Ausbildungsprozesses im vorherrschenden Gildensystem versperrt blieb, die Chance, kleine Unternehmer zu werden. Die Ära der britischen Agrargesellschaft endete schlichtweg mit dieser bis dato beispiellosen Verbreitung dieser Maschine. Während zuvor die meisten Menschen landwirtschaftlichen Tätigkeiten außer Haus nachgingen, erledigten nun weniger Menschen, die mit besseren Landmaschinen ausgestattet wurden, die gleiche Arbeit. Der Rest saß am Heimarbeitsplatz; zunächst an der Spinnmaschine, später an hölzernen Webstühlen als Weber oder Sticker. (2) Dieser erste Schritt in Richtung Mechanisierung und Unternehmertum führte aber zu keinen entscheidenden oder im fraglichen Kontext bemerkenswerten Innovationen. Bei der Heimarbeit wurde schlicht die Arbeit aus der Fabrik ausgelagert, also dezentralisiert. Die Art und Weise der Produktion war aber dennoch an die Direktive der Unternehmer gebunden und die produzierte Ware wurde Firmen ausgeliefert oder anderweitig verfügbar gemacht.
Nichts desto trotz bot der Aufstieg der Heimindustrie einen innovativen Gehalt auch für die aktuelle industrielle Revolution: Die Form der Produktion verteilte sich erstmals auf profitable Weise. Außerdem war sie flexibel und ermöglichte die Herstellung kleinerer Stückzahlen im Vergleich zu den großen, zentralisierten Fabriken. Deren Arbeit und Fertigung wurde so erfolgreich ergänzt, dass selbst auf dem Höhepunkt der ersten industriellen Revolution die Verteilung von Arbeit mehrheitlich auf der Heimindustrie mit ihren kleinen Gewerben lastete. Die Brücke zur Neuzeit und der bestehenden Fragestellung schlägt sich, wie bereits erwähnt, von der Heimindustrie hin zur momentanen Maker-Bewegung. Das typische Heimgewerbe von heute ist ein Shop auf dem Ebay-Marktplatz, in dem mit computergesteuertem Schneideplotter Sticker für MacBooks herstellt oder Ersatzteile für Oldtimer 3D-gedruckt werden.
Während der zweiten industriellen Revolution und dem Wechsel von Handarbeit zur maschinellen und automatisierten Produktion wurden hingegen Arbeitskräfte für andere Aufgaben frei. Immer weniger Menschen wurden für die Her- und Bereitstellung des Grundbedarfs an Nahrung, Kleidung und Behausung benötigt, sodass sich vielen von ihnen die Möglichkeit ergab, an dem zu arbeiten, was zwar nicht lebensnotwendig, wohl aber hochgradig kulturrelevant ist: Philosophie, Ehtik, Politik, Bildung, Erfindungen, Kunst und Kreativität. Sie schufen die moderne Welt. Nach Ansicht des Autors Venkatesh Rao wirkte sich dies vor allem auf den Zeitgeist aus. Durch Maschinen konnte schneller und damit mehr in weniger Zeit gearbeitet und hergestellt werden. Die eingesparte Zeit stand dann für Anderes zur Verfügung – für Freizeit oder andere Arbeit. Diese zweite industrielle Revolution erschuf also vor allem einen riesigen Überschuss an Zeit, welcher dazu genutzt wurde um praktisch alles zu erfinden, was die moderne Welt ausmacht. Vor 400 Jahren arbeiteten fast alle Menschen daran, das Lebensnotwendige zu erzeugen: Nahrung, Kleidung, und Unterkunft. Heutzutage tut das nur noch ein Bruchteil der Bevölkerung. Rao schreibt: „Die Dampfkraft half dabei neue Länder zu kolonisieren, vor allem aber begann mit ihr die Kolonisation der Zeit. Viele haben die Grundlagen des schumpeterianischen Wachstums falsch verstanden und glauben es würde von Ideen vorangetrieben, nicht von Zeit. Ideen können in Verbindung mit Energie Zeit gewinnen, die dann teilweise für die Entwicklung neuer Ideen genutzt werden kann, die noch mehr Zeit einsparen. Es handelt sich dabei um eine positive Rückkopplung.“ (3)
Es stellt sich heute wieder die Frage, ob wir die Zeit sinnvoll nutzen werden? Eine neue Generation von Makern entwirft am Bildschirm, sie nutzen also zunächst Desktop- Werkzeuge und im zweiten Schritt computergesteuerte Werkzeuge, wie 3D-Drucker, für die Fertigung. Sie gehören außerdem zur Web-Generation und teilen ihre Entwürfe online in Open-Source-Communities, was eine klare Neuerung im Vergleich zur jahrhundertealten Patentrechtregelung darstellt. Dank der einheitlichen Dateistandards lässt sich ihr Entwurf entweder lokal, oder bei einem kommerziellen Dienstleister in beliebiger Stückzahl herstellen. Das verkürzt den Weg von der Idee zum Unternehmertun drastisch. Hierzu ergänzt Chris Anderson: „Die Maker-Bewegung eröffnet die Möglichkeit klein und global zugleich zu sein, handwerklich und innovativ, Hightech mit Niedrigkosten, klein anzufangen und groß zu werden. Vor allem aber bietet sich damit die Möglichkeit, Produkte herzustellen, die die Welt braucht, ohne es zu wissen, weil sie nicht ins Schema althergebrachter Massenproduktionen passen.“ (4)
Diese Bewegung, so Anderson, ebnet den Weg für eine neue Generation von Erfindern und Visionären, die unter Zuhilfenahme von Open Hard- und Software sowie Open-Communities eine neue Art des Unternehmertums schaffen. Diese neue „Heimindustrie“ mit globaler Reichweite, die auf Nischenmärkte mit verteilter Nachfrage spezialisiert ist, wird auch „small batch“ (englisch für kleine Charge) genannt. Eine Millionen Bastler stehen in ihren Garagen mit ihrem gesammelten Potenzial unmittelbar an der Schwelle zu den globalen Märkten, denn Ideen gehen jetzt direkt in Produktion; vorgelagerte Finanzierung und Werkzeugbeschaffung braucht es nicht mehr. Das Internet war nur die Feuerprobe dafür, wie ein offenes, auf Zusammenarbeit beruhendes Industriemodell nach dem bottom-up-Prinzip aussehen könnte. Jetzt erreicht die Revolution zunehmend die reale Welt, in fast schon bedingungsloser Art und Weise. So wie Start-ups für einen Innovationsschub in der Technologiebranche gesorgt haben und der „Untergrund“ ständig neue Kulturen hervorbringt, so kann auch die Energie und Kreativität von Unternehmern und einzelnen Erfindern die komplette Produktion neu erfinden und dadurch Arbeitsplätze schaffen, jedenfalls theoretisch. Cory Doctorow zeichnet dieses Bild in seinem SciFi-Roman „Makers“ folgendermaßen: „Die Tage von Firmen mit Namen wie General Electrics, General Mills und General Motors sind vorbei. Das verfügbare Geld treibt im Markt wie Krill: Milliarden kleiner Gelegenheiten, die darauf warten, von cleveren, kreativen Unternehmen entdeckt und genutzt zu werden." (5) Und in direkter Verknüpfung schreibt Rich Karlgaard, der Herausgeber der Zeitschrift Forbes: „Dies hat das Potenzial, die Industriewirtschaft umzuformen, weg von der Massenproduktion zurück zum Handwerk – bestehend aus kleinen Designwerkstätten mit Zugang zu 3D-Druckern. Anders ausgedrückt könnte die Herstellung von realen Gegenständen sich von einer kapitalintensiven Industrie zu etwas entwickeln, das mehr an Kunst und Software erinnert.“ (6) Doch warum steht gerade der 3D-Druck emblematisch für die neuen digitalen Produktions- und Arbeitsbedingungen? Weil 3D-Druck und andere digitale Produktionstechniken im Gegenzug zur Massenproduktion, die prinzipiell auf Standardisierung und Wiederholung ausgelegt ist, keine Stückkostendegression besitzen. Das heißt, es ist nicht günstiger 1000 Stück je Produktionseinheit herzustellen als ein Unikat. Außerdem maximieren sich die Kosten nicht, wenn jedes Stück individuell oder leicht veränderlich ist und nur jeweils kleine Stückzahlen produziert werden sollen. Der Markt um 3D-Druckprodukte setzt ganz und gar auf Individualisierung und Anpassung an die Kundenwünsche. Das ist der große Vorteil des digitalen Industriezeitalters, der zugleich die Abgrenzung zu vorher bestehenden Strukturen darstellt: die Wahlmöglichkeit zwischen den beiden Alternativen „Massenproduktion“ und „Sonderanfertigung“, ohne dabei auf teure Handarbeit zurückgreifen zu müssen. Für beide stehen nunmehr rentable automatisierte Produktionsmethoden zur Verfügung, die ein Konglomerat aller vorangegangenen industriellen Revolutionen darstellen: die dezentrale Schöpfung der ersten, die automatisierte Herstellung der zweiten und die globale Vernetzung der dritten Revolution. Wir erleben also gerade den „Aufstieg einer zweiten Heimindustrie“, bei dem auch diesmal neue Technologien dem Einzelnen mehr Macht über die Produktionsmittel leihen. Sie ermöglichen Unternehmertum quasi „von unten“ eine Verteilung der Innovation. Das World Wide Web hat die Produktionsmittel in allen Bereichen demokratisiert – von Software bis Musik – und ermöglicht, dass Imperien in Studentenwohnheimen gegründet oder Hitalben in Schlafzimmern aufgenommen werden konnten. Entsprechend werden die demokratisierten Werkzeuge der computergesteuerten Herstellung zu den „Spinnig Jennys“ von morgen werden, zumindest wenn man Chris Anderson Glauben schenken mag. Und wie die Heimindustrie damals die Macht der Handwerkergilden brach, so könnte die neue Heimindustrie das Ende für das moderne Industriemodell bedeuten, das in Manchester entstand und die letzten Jahrhunderte beherrschte.
Ein letztes Thema, das hierin Erwähnung finden sollte, ist die Sicherstellung des Wohlstandes in einer robotisierten Arbeitswelt. Hier könnte das bedingungslose Grundeinkommen den Folgen des Arbeitsmarktwandels entgegenwirken und den Menschen helfen, ihr Leben so zu gestalten, wie sie es sich erdacht haben. Die finanzielle Absicherung jedes Einzelnen würde die Gesellschaft nicht nur sozialer machen; ohne Existenzängste, Neid- und Geizgedanken könnten die Menschen ihre Arbeit auch nach ihren Fähigkeiten, Geschicken und Interessen wählen. Dies würde eine enorme Steigerung der Arbeitsmotivation und letztendlich der Lebensqualität bedeuten, da sie sich als produktiver, kreativer, zufriedener und schlichtweg selbstbestimmter wahrnehmen könnten. Die Konsequenzen solch „humanisierter Arbeitsbedingungen“ sind auch für die gesamte Gesellschaft hochgradig wünschenswert. Die Gründung einer Existenz im marktwirtschaftlichen Sinne wäre ebenso erleichtert wie die Gründung einer Familie, das Ausüben von Ehrenämtern und prosozialen Tätigkeiten wäre gefördert und es könnte mehr Aufwand um Zukunftsorientierung und Bildung betrieben werden. Bereits weltweit haben sich viele namhafte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen, unter ihnen zwei Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften. Die Forschung zu diesem Thema wird immer intensiver. In einigen Ländern beginnen Spitzenpolitikerinnen und -politiker, nicht nur im linksorientierten Parteienspektrum, die Grundeinkommensidee zu unterstützen. Die Literatur zu den ökonomischen, sozialen, politischen, ethischen und rechtlichen Aspekten des Grundeinkommens wächst unablässig.
Damit wird folgendes deutlich: Mit der Entwicklung des Internets wurde auch das Generieren und Verteilen von Wissen demokratisiert, zumindest in den westlichen Industrieländern. Der Zugriff auf diesen Kosmos an Informationen schafft uns ein neues Bewusstsein in allen Lebensbereichen. Ebenso bietet es die Möglichkeit, sich mit einer Geschäftsidee selbständig zu machen. Digitale Nomaden brauchen (zumindest konzeptionell) lediglich Ihren Laptop und einen Internetzugang, um von der ganzen Welt ausgehend ihrer Erwerbstätigkeit nachzukommen. Und positiv gewendet könnte man anfügen: Wenn in Zukunft die Roboter für uns die Arbeit übernehmen werden, haben wir erneut mehr Zeit, um uns wichtigen globalen Problemen zu widmen. Der Klimawandel und der drastische Verschmutzungszustand der Meere sind hier nicht mehr zu leugnen. Auch der Baumbestand der Regenwälder wird im Namen der Lebensmittelproduktion rapide dezimiert. Es werden Kriege um Öl geführt; den Treibstoff, der die Industrienationen am Leben hält; das Gift, das die Entwicklungsländer in Plastikmüll erstickt. Die Menschheit verhält sich, als ob der Planet etwas sei, das erobert und gezähmt werden müsse; ein quasi „ausbeutbares“ Reservoir, eine Ressource, an der wir Raubbau betreiben können. Dieses Verhalten muss sich dringend ändern, wenn wir als Spezies auf dem Planeten Erde überleben wollen. Die Stromgewinnung aus erneuerbaren Energien wie Solar-, Wind- und Wasserkraft ist nur der erste Schritt, der gegangen werden muss, um die Zukunft abzusichern. Packen wir es an.