Autos für Alle!

Felix Sittner

Im Jahr 2019 belief sich der Bestand von bereits zugelassenen Personenkraftwagen, laut dem Kraftfahrtbundesamt(1), auf rund 47,1 Millionen. Rechnet man die übrigen Kraftfahrzeuge hinzu erhält man eine Dichte von 692 Kfz auf 1000 Einwohner. Diese enorme Masse an Fahrzeugen hat unübersehbare Folgen. Die Gesamtlänge von Staus wächst kontinuierlich, Schadstoffe resultierend aus Produktion, Vertrieb und Nutzung belasten Mensch und Natur zunehmend. Der individuelle Personennahverkehr mit dem Auto ist zu einem Problem geworden. Doch die größte Sinnlosigkeit dieser Entwicklung ist der Umstand der Nutzungsineffizienz. Viele Strecken, wie zum Beispiel zur Arbeit, werden alleine im Auto zurückgelegt. Die restliche Zeit des Tages steht das Auto meist ungenutzt auf einem der rar gewordenen Parkplätze, welche die Bilder von urbanen Räumen aktuell prägen.
Das wachsende Angebot von geteilten Autos könnte diese Probleme lösen. Günstigere Preise, sowie die Befreiung vom Besitz, und damit von Verpflichtungen, sind nur einige der vielen Gründe, die für das CarSharing sprechen. Aktuelle Statistiken zeigen, dass auf ein geteiltes Auto im free-floating Segment durchschnittlich 223 Nutzer kommen(2).

Diese Entwicklung gilt es zu fördern. Daher stellt sich im Bezug auf die Gestaltung, die Frage was Produktdesigner zu beitragen können. Nach einer ausgedehnten Recherche inklusive Problemsuche mit CarSharing Unternehmen wurde deutlich, dass die Branche mit passenderen Autos entlastet und damit gefördert werden sollte. Zurzeit werden ausschließlich herkömmliche Pkw vermietet. Diese sind, vom Designstandpunkt aus betrachtet, nicht dafür geeignet geteilt zu werden. Für Produktdesigner ergibt sich daher die Aufgabe ein mit vielen Teilnehmern teilbares Automobil zu entwickeln, welches in Bezug auf Robustheit und Reinigungsfreundlichkeit, besonders im Bereich des Interieur, neue Maßstäbe setzt.

Das Problem

Das offensichtlichste Problem im deutschen Verkehr ist die schiere Masse der vorhandenen Pkw. Wie bereits erwähnt, kommen auf 81,5 Millionen Bürger, 47,1 Millionen Pkw. Addiert man die übrigen Kraftfahrzeuge, sowie die 7,5 Millionen zugelassenen Anhänger hinzu, erhält man einen Kfz Bestand von 64,8 Millionen Fahrzeugen(1); allein mit deutscher Zulassung. Hinzu kommen auf den Straßen Kfz aus anderen Ländern. Zum Vergleich betrug der deutsche Kfz Bestand 2010 noch 56,2 Millionen Einheiten. Diese Steigerung um rund 13% fußt hauptsächlich auf den 4,5 Millionen Pkw Neuzulassungen(3) bis 2019.
Ein Anstieg mit Folgen. Zwischen 2012 und 2018 hat sich die Gesamtlänge der Staus in Deutschland von 595.000 Kilometern auf 1,5 Millionen Kilometer(4) verlängert, also fast verdreifacht. Aus solch verdichtetem Verkehr resultiert nicht nur ein erheblicher Zeitverlust für die betroffenen Autofahrer, sondern auch eine erhebliche psychische Belastung, wie der Verkehrspsychologe Thomas Wagner deutlich macht. Er bezeichnet eine hohe Verkehrsdichte als einen stressauslösenden Belastungsfaktor(5), der nach seiner fachlichen Einschätzung häufig auf zeitlichen Druck zurückzuführen ist. Neben der bekannten gesundheitlichen Belastung durch Abgase und Feinstaub, existiert, für die sich im Straßenbereich bewegenden Menschen, also auch noch eine gesundheitliche Belastung durch Stress.
Dieser Stress tritt zuletzt auch immer dann hervor, wenn es darum geht einen Parkplatz zu finden. Durchschnittlich verschwenden deutsche Autofahrer im Jahr für dieses Prozedere 41 Stunden(6) ihrer Lebenszeit. Auch dafür ist der Grund die gewachsene Anzahl an Pkw, besonders im urbanen Raum. Als Ausgleich für die rar gewordenen freien Parkplätze im Straßenbereich, werden bei Neubauten in den meisten Bundesländern Parkgaragen mitgebaut. Die dafür gesetzlich stützende Stellplatzverordnung ist begründet in der Reichsgaragenordnung von 1939. Diese stellte den ersten Schritt für die Entwicklung der autogerechten Stadt dar und war eine Reaktion auf die prognostizierte Produktionsrate der sogenannten KdF-Wagen. Während Städte wie Dresden und Hamburg diese Stellplatzverordnung in den letzten Jahren aufgeweicht bzw. abgeschafft haben(7), um die Anzahl der verkehrenden Autos zu reduzieren, ist beispielsweise in der erst vor zwei Jahren aktualisierten bayrischen Verordnung von 1993 bis heute mindestens ein Stellplatz pro Mietwohnung vorgesehen(8). In der Dresdner Satzung vom 29. Juni 2018 ist hingegen in §4 offiziell festgehalten, dass ein CarSharing-Parkplatz fünf Pkw Stellplätze ersetzen darf(17). Dies gibt Bauherren und Stadtplanern die Möglichkeit sich aktiv an der Transformation der Stadt zu beteiligen.
Die Kehrseite von den im Untergrund versteckten, meist privaten Parkflächen, welche dann zumindest nicht mehr das Stadtbild belasten ist, dass die Wohnhäuser nun Tiefgaragenzufahrten in den Bereichen der Gebäude haben in denen, in den Jahrtausenden zuvor, immer Platz für kleine bis mittlere Gewerbe war. Diese architektonische Entscheidung befeuert somit noch das bereits durch Einkaufszentren angeheizte Verkümmern des sozialen Straßenraums in dem sich Geschäfte, wie Cafés und kleine Märkte, befinden könnten. Ein sozialer Einschnitt, der dafür sorgt, dass Straßenzüge und Quartiere unpersönlicher werden und soziales Leben ungreifbarer wird. Die exzessive Nutzung des Automobils in Städten und die bisher erfolgte Entwicklung der urbanen Lebensräume hin zu einer autogerechten Stadt, sorgen somit für eine Verdrängung von allseits präsenten, angenehmen, öffentlichen und sozialen Räumen in denen zwischenmenschliche Begegnungen möglich werden.
Eine Korrektur dieses Kurses könnte erfolgen, wenn weniger private Autos in Städten verkehren würden. Neben omnipräsenten öffentlichen Verkehrsmitteln, wie man sie bereits kennt, könnten zukünftig mit dem ausgebauten Netz harmonierende CarSharing-Angebote die individuelle Mobilität unterstützen und das private Automobil weitgehend obsolet machen.



Die Entstehung

Die ersten Versuche Autos organisiert miteinander zu teilen, wurden in den 1970er Jahren in Großbritannien unternommen(9). Auch damals waren Großstädte wie London bereits überfüllt von Autos.
Laut dem Bundesverband CarSharing wurde 1988 im Zuge einer Doktorarbeit das erste CarSharing-Projekt in Deutschland ins Leben gerufen. 1990 wurde dieses Berliner Projekt zu einem Unternehmen. Zeitgleich gründeten sich ähnliche Firmen in Aachen (Abbildung 1) und Bremen, die bis heute aktiv sind. Die Idee verbreitete sich schnell und bereits vier Jahre später gab es bundesweit 74 Anbieter. Unterstützend kam die Entwicklung des ersten Bordcomputers an der Universität Siegen hinzu, welcher bis 1997 grundlegend auf dem Level der auch heute noch verbauten Geräte war. Bereits zu diesem Zeitpunkt konnte das Auto über einen Kartenleser hinter der Windschutzscheibe geöffnet werden. In den folgenden Jahren wuchs die Branche mit zunehmendem Tempo. Bis Anfang 2020 etablierten sich 226 Anbieter mit einem Gesamtfuhrpark von 24 380 Fahrzeugen in 840 Orten. Die Anzahl der angemeldeten Nutzer lag bei 2,5 Millionen(10). Im Vergleich zum Vorjahr wuchs der Markt rasant, um 45 weitere Anbieter. Die stationsbasierten Angebote erschlossen 100 neue Orte und der free-floating Sektor vergrößerte die Zahl der bereitgestellten Fahrzeuge um fast 50%(12).

Die Nutzung



CarSharing-Angebote lassen sich in zwei etablierte Nutzungsvarianten aufteilen. Zum einen gibt es das stationsbasierte CarSharing, bei dem Autos immer wieder auf festen, für sie reservierten, Parkplätzen abgestellt werden. Diese Pkw können über Wochen im Voraus reserviert werden. Durch diese feste Verortung bilden sie ein sehr verlässliches Modell, welches zudem preislich günstig ist(13).
Die andere Variante ist das sogenannte free-floating System, bei dem zugehörige Autos innerhalb eines Nutzungsgebiets frei geparkt werden dürfen. Sie eigenen sich dadurch für Einzelfahrten ohne Rückfahrt und spontane, kurze Fahrten, da sie nicht über einen längeren Zeitraum hinweg reserviert werden können und auch deutlich teurer sind. Diese Kategorie von CarSharing findet sich bisher eher in größeren Städten wie Hamburg und Berlin, und wird an solchen Orten auch deutlich mehr genutzt als stationsbasierte Systeme(14).
Seit 2012 gibt es zusätzlich kombinierte Angebote aus einer Hand. Hierbei werden von einem Anbieter sowohl stationsbasierte, als auch frei abstellbare Automobile angeboten. Ein weiter verflechtendes Modell etablierte sich Ende 2019 in Augsburg. Hier ist es fortan möglich eine Mobilitätsflatrate zu nutzen, die Nahverkehr, Leihräder und CarSharing mit einschließt(15).


Das Produktdesign



Mit dem öffentlichen Teilen von Autos entstehen Probleme, welche man beim Umgang mit Privatwagen nicht zwingend hat. So kämpfen Anbieter beispielsweise permanent damit die bereitgestellten Autos in einem sauberen und funktionsbereiten Zustand zu halten. Der Sachverhalt, dass viele Nutzer nicht sehr sorgfältig mit gemieteten Autos umgehen, ist ein Umstand den viele Anbieter mit in ihre Rechnungen einfließen lassen müssen(16). Die Notwendigkeit dafür könnte auch in der Anfälligkeit der Automobile liegen. Der Fakt, dass die vermieteten Autos ursprünglich als Privatwagen und nicht als sharing cars konzipiert wurden, lässt bereits deutlich werden, dass hier ein Ansatzpunkt für eine Verbesserung vorliegen könnte. Ein Auto, welches speziell für das CarSharing entworfen würde, könnte die Kosten für die Anbieter und damit auch für den Kunden senken und dadurch der Verbreitung und Etablierung von untereinander geteilten Automobilen zuträglich sein.
Doch wie könnten solche Autos aussehen? Und welche Eigenschaften sollten sie erfüllen?
Als ersten Ansatz sollten sich automobile Konzepte, welche zum Teilen mit vielen Menschen konzipiert werden, an öffentlichen Verkehrsmitteln und deren Ausstattung orientieren. Dies würde für eine Reduzierung der angebotenen Features, auf das Wesentlichste sprechen. Angefangen im Kleinen, sollten alle bedienbaren Details direkt selbsterklärend wirken und in ihrem Umfang auf die bloße Mobilität reduziert sein. So könnte die gesamte Kontrollzentrale des Cockpits, inklusive Temperatur- und Belüftungsregulierung, Radio, usw. über eine Verbindung mit dem Smartphone (und beispielsweise eines Sprachassistenten) gesteuert werden. Auf diese Weise würden bereits etliche Schalter und Taster wegfallen, die bisher potentiell für Schäden und Verunreinigung anfällige Teile darstellen.
Weitergedacht könnte die Reinigung des Innenraumbodens stark vereinfacht werden, wenn Sitze und Sitzreihen nicht wie bisher am Boden, sondern wie beispielsweise bei U-Bahnen an den Seitenwänden befestigt wären. Solche Sitze könnten klappbar ausgeführt, variabel und spontan, Platz für Gepäck und Einkäufe freimachen. Der Innenraumboden wäre dann frei von Verwerfungen, an denen sich Schmutz sammelt. Im besten Fall könnte solch ein Innenraum innerhalb weniger Minuten einfach mit einem Hochdruckreiniger gesäubert werden. Sitze und andere Komponenten, die eine starke Abnutzung zu erwarten haben, sollten so angebracht werden, dass sie von Anbieter-Werkstätten leicht ausgetauscht werden können. Generell wäre eine leichte Reparierbarkeit der Kostenminimierung sehr zuträglich. Auch die Außenverkleidung sollte innerhalb weniger Minuten ausgetauscht werden können, um schnell kleinere Schäden wie Kratzer und Dellen auszubessern. Im Besten Fall wäre die Außenhaut jedoch aus einem Material, welches nicht so anfällig ist wie lackiertes Blech. Am Ende wäre ein solches Auto robust und auf das Wesentlichste reduziert. Es wäre ein Nutzgegenstand, ein Werkzeug für die Mobilität, die Prestigegedanken und Profilierungsmanie im Bereich des öffentlichen Verkehrs endlich überwunden hätte.
Den Umfang an angebotenen Automobil-Varianten könnte man diesbezüglich auch überdenken. So braucht es vermutlich nicht 200 verschiedene Pkw Modelle für die bloße Mobilität. Auch die vielen Typen, die auf Transport ausgelegt sind, würden teils obsolet. Wie einfach und kostengünstig wäre es, gäbe es nur einen Autotyp, der je nach Bedarf erweiterbar wäre. Ein Wagen für zwei Personen beispielsweise, der nach Bedarf um zusätzliche Sitzplätze oder Transportraum erweitert werden könnte. Die letztgenannte Variante würde sicher auch der letzten Zielgruppe zuspielen, die noch wirklich täglich ein Auto mit etwas Laderaum zum transportieren diverser Güter benötigte - die der Handwerker und Zusteller. In der warm schimmernden Utopie der nahezu autofreien Stadt wären vermutlich sie die letzten Personen, die täglich mit ihren Firmenwagen auf den Straßen anzutreffen wären.
Eine andere bisher nicht erwähnte technische, sich in der Etablierung befindliche Neuheit ist das autonome Fahren. Sollte sich diese Technik durchsetzen würde sie besonders für den ländlichen und stadtnahen Raum enorme Möglichkeiten bieten. Praktisch jedes noch so abgelegene Haus könnte durch diese Innovation mit sharing cars versorgt werden.

Die Postwachstumsgesellschaft

Diese und andere Überlegungen, Erkenntnisse und Entwicklungen wachsen aktuell in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem heran. Gleichzeitig bilden sie in ihrem Kern möglicherweise eine Reduzierung der bisherigen Wirtschaftsleistung ab. Wenn weniger Autos gebraucht werden, werden vermutlich auch weniger verkauft. Damit die Gesellschaft nicht über ihre eigenen Füße stolpert, sollte sie sich daher anpassen. Die Erkenntnisse, die aus dem Diskurs der Postwachstumsgesellschaft hervorgehen, könnten eingewebt in unser aktuelles System, die Gesellschaft mit ihren Möglichkeiten und Standards, wie wir sie heute kennen, im Positiven erhalten. Nötig für eine gelungene Transformation ist eine solche Kulturwende in allen Bereichen des Konsums. Die Verkehrswende als Kulturwende, so wie auch Canzler und Radtke sie beschreiben(18), wäre ein Schritt hin zum Degrowth und der Postwachstumsgesellschaft.



Das Fazit

Unsere Städte sind aktuell überfrachtet mit Pkw und das natürlich nicht nur in Deutschland. Da die Menschheit laut den Prognosen noch einige Jahrzehnte wachsen wird(19), ist es längst überfällig unser Gesellschaftssystem hin zu einer Postwachstumsgesellschaft auszurichten. Unser wachsen und konsumieren ins Unendliche wird uns sonst eher früh als spät ins Chaos stürzen. Mobilität und Flexibilität sind die Treiber unserer Zeit und unseres Wohlstands. Um sie zu erhalten müssen sie an die neuen Bedingungen, welche durch Klimawandel und die sich ankündigende Ressourcenknappheit entstehen, angepasst werden. Ein Kulturwandel ist dafür zwingend erforderlich. CarSharing könnte für diesen ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung sein. Passend gestaltete Autos könnten diesen Schritt erleichtern und somit auch beschleunigen. Zuletzt wäre dies auch der Weg weg von der autogerechten Stadt, hin zu einer mobilen, menschengerechten Stadt.